Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds
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Presse

Premiér Nečas: Großes Potential im Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und im Deutsch-Tschechischen Gesprächsforum

 
 

(München, 21. Februar 2013) Petr Nečas sprach als erster tschechischer Premiér vor dem Bayerischen Landtag. In seiner Rede äußerte er auch Bedauern darüber, dass durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde.

Sehr geehrte Frau Präsidentin des Landtags,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, 
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, 
meine Damen und Herren, 
werte Landsleute und ehemalige Mitbürger, 

es ist für mich eine außerordentliche Ehre, als erster Repräsentant der Tschechischen Republik die Gelegenheit erhalten zu haben, im Bayerischen Landtag vor Ihnen, Vertretern des bayerischen Volkes, aufzutreten. Ich bin mir der besonderen Verantwortung und der Erwartungen bewusst, die mit diesem Augenblick verbunden sind, sowohl auf der bayerischen als auch auf der tschechischen Seite. Ich möchte deswegen diese Gelegenheit dazu nutzen, um über ein Thema zu sprechen, das vielleicht auf den ersten Blick nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, das jedoch heutzutage von besonderer Bedeutung ist. Ich werde mich mit die Frage der Identität in der tschechisch-bayerischen Nachbarschaft in heutigem Europa befassen. 

Ich habe mich für dieses Thema aus zwei Gründen entschieden. Erstens, es gibt nur wenige Länder, die durch ihre Geschichte, kulturelle Verwandtschaft sowie tausendjährige geistliche Tradition so eng verbunden sind wie Böhmen und Bayern. Zweitens, es ist deutlich, dass wir auch heute auf dem Suchweg zur Findung der eigenen Identität ohneeinander nicht auskommen. Unsere gegenseitige Beziehung scheint eine Schicksalsgemeinschaft zu sein, die voll Inspiration, Bereicherung, aber auch Traumata und Vorurteile ist. 

Bevor ich mich der Frage der Identität in der tschechisch-bayerischen Nachbarschaft widme, erlauben Sie mir, kurz den Anlass zu erwähnen, zu dem ich hier auftrete. In diesen Tagen bin ich zu einem Besuch in Bayern, zu dem mich der Ministerpräsident der bayerischen Regierung, Herr Horst Seehofer, eingeladen hat. Mit Freude erwidere ich den Besuch, der an unser erstes Treffen in Prag im Jahre 2010 anknüpfte, bei dem wir einen wirklich historischen Schritt unternahmen und das wesentliche Interesse unserer beiden Länder an einer allseitigen Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen kundgetan haben, die die gemeinsamen Wurzeln und die geteilten Werte respektiert. Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt, der aber meistens am schwierigsten ist. Daher gilt an dieser Stelle Herrn Ministerpräsidenten Horst Seehofer unser Danke für seinen Mut und seine Überzeugung, dass die Tschechen und die Bayern fähig und bereit sind, gemeinsam und offen nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit zu schauen. 

Nach Bayern hat mich unser gemeinsames natürliches Interesse sowie das Gefühl der persönlichen Verantwortung für die Fortsetzung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Tschechen und Bayern und für die Entwicklung der strategischen Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern geführt. Die gemeinsame Vergangenheit verpflichtet uns, für die gemeinsame Zukunft zu arbeiten. 

Die Frage nach der Identität eines Menschen oder einer Gemeinschaft stellt in der heutigen Zeit ein nicht einfaches Thema dar. Traditionelle Landes- und Nationalidentitäten werden scheinbar in Zweifel gestellt, sowohl infolge der Entstehung von transnationalen Gemeinschaften, als auch durch Entdeckung von verschiedensten Gruppenidentitäten. Ich bin trotzdem überzeugt, dass die Suche nach den eigenen Wurzeln, nach einer Gemeinschaft, denen wir uns verbunden fühlen, dem Menschen immer eigen bleibt. Die eigene Identität ist nichts, was wir ohne weiteres uns auswählen können oder was durch eine politische Entscheidung bestimmt werden kann. Sie wächst aus der Kultur heraus, aus der Geschichte und aus den Traditionen, in denen wir leben und erzogen werden. Gerade die Nachbarschaft unserer beiden Länder war seit je ein Raum, in dem sich diese Traditionen und kulturelle Bindungen sehr intensiv begegneten und oft zu einer einzigartigen Gesamtheit fügten. 

An der Schwelle der historischen Zeit wurden beide Länder schrittweise von einem Volk besiedelt, den keltischen Boiern, deren Name sich noch heute in den Bezeichnungen Bavaria und Bohemia widerspiegelt. Die Grenze, die später das gemeinsame Gebiet durchschnitt, wurde im frühen Mittelalter festgelegt und besteht in dieser Form in groben Zügen bis heute. Mit der Ausnahme des historischen Egerlands könnten wir sie als eine der ältesten Grenzen in Europa bezeichnen. Die meiste Zeit war sie jedoch nicht eine Grenze, die unsere Vorfahren getrennt hat. Ganz im Gegenteil, sie wurde dank ihrer Durchlässigkeit zu einem Ort von gegenseitigen Begegnungen und Bereicherungen, zuerst im geistigen Bereich. 

So kam aus Bayern seit dem 8. Jahrhundert das Christentum in die böhmischen Länder. Gerade auf diesem Wege kamen im Jahre 845 vierzehn böhmische Herrscher nach Regensburg, um sich hier taufen zu lassen. Es ist daher kein Zufall, dass der Fürst Spytihněv im Jahre 895 das böhmische Gebiet der Regensburger Diözese unterwarf. Dem Regensburger Bischof Wolfgang verdankt Prag die Einrichtung einer eigenen Diözese, des Prager Bistums, sowie die spätere Überführung unter das Mainzer Erzbistum. Von hier stammt die Beliebtheit des heiligen Wolfgangs in Westböhmen, die in vielen ihm geweihten Kirchen und in den beliebten Wallfahrten ihren Ausdruck findet. Einige Jahrhunderte später wurde auch das bayerische Christentum von Böhmen aus beeinflusst. Im 18. Jahrhundert erschienen auf beiden Seiten des Böhmerwalds auf den Brücken die Statuen des hl. Johann Nepomuk, der unser gemeinsamer Landespatron und Symbol des Kulturgebiets von Böhmen und Mitteleuropa ist. Seit Jahrhunderten pilgerten Wallfahrer aus Böhmen nach Passau und Altötting und aus Bayern auf den Heiligen Berg (Svatá Hora) bei Příbram. Noch heute sind in vielen bayerischen Kapellen und Bauernhäusern Figuren der Muttergottes vom Heiligen Berg zu sehen sowie in Böhmen die Bilder der Passauer Madonna. Die gemeinsamen Heiligen, deren Ehrung und die Wallfahrten waren so über Jahrhunderte alltags und feiertags ein Bindeglied für die Generationen unserer tschechischen und deutschen Vorfahren. 

Das Nürnberger Stadtrecht war im Mittelalter ein Vorbild für eine Reihe von böhmischen Städten, an deren Gründung sich oft auch neue Einwohner beteiligten, die aus deutschen Ländern einschließlich Bayerns kamen. Hierdurch wurde die Entwicklung des Handels und der Verbreitung von Handwerkskompetenzen auf den Straßen zwischen Prag, Nürnberg und Regensburg ermöglicht. Hier finden wir die Wurzeln eines ungewöhnlichen Zivilisationsaufschwungs. Unter der Herrschaft der Luxemburger fingen die böhmischen Herrscher an, dem nördlichen Teil des heutigen Bayerns eine strategische Bedeutung beizumessen, vor allem der Oberpfalz, die durch ein Netz von böhmischen Enklaven, als „Neuböhmen“ bezeichnet, zur Brücke zwischen Böhmen und Nürnberg werden sollte. 

Die Schicksale der beiden Teile von Pfalz begegneten sich mit der böhmischen Geschichte wieder 1619 bei der Wahl von Friedrich, Kurfürst von Pfalz, zum böhmischen König. Es folgte der vernichtende Dreißigjährige Krieg, nach dessen Ende sich die Barockkultur voll entwickeln konnte. Die Gebiete Böhmens und Bayerns fügten sich zu einem gemeinsamen Kulturraum, der in Böhmen von der genialen Architektur der oberbayerischen Familie Dientzenhofer und in Bayern vom Egerländer und Deutschböhmen Balthasar Neumann geprägt wurde. Im 18. Jahrhundert, als die barocken architektonischen Schmuckstücke um musikalische Juwel bereichert wurden, wirkte auch eine Reihe von böhmischen Musikern in den Hoforchestern Oettingen -Wallerstein, und München. 

Damals wurden auch Versuche unternommen, diesen Raum politisch zu vereinigen. Im Jahre 1741 ließ sich der Kurfürst Karl VII. Albrecht von Bayern in Prag zum böhmischen König krönen und versuchte erfolglos, seine Herrschaft über Böhmen zu erlangen. Im Jahre 1778 bemühte sich wiederum die Kaiserin Maria Theresia nach dem Aussterben der altbayerischen Linie der Wittelsbacher erfolglos, Bayern der Donaumonarchie einzuverleiben. 

In das 19. Jahrhundert traten Böhmen und Bayern zwar als getrennte Einheiten ein, die gemeinsamen Werte und Identität wurden jedoch auch weiter verstärkt. Beide Länder wurden zur Wiege der Industrie, insbesondere der Glasmacherei und – wie anders – der Bierbrauerei. Bayern stellte für uns auch eine bedeutende politische Inspiration dar. Mancher tschechischer Liberaler griff damals gern nach der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Das in Bayern als einem der ersten europäischen Länder eingeführte parlamentarische Verfassungssystem wurde bei uns zum Vorbild für die demokratische Bewegung, die in die Revolution von 1848/49 mündete. München wurde außerdem zur Stadt der Kunst, und an der hiesigen Akademie studierte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reihe unserer bedeutenden Künstler, Tschechen und Deutschen. 

Zu bedeutenden Änderungen kam es nach 1918, als in Bayern die Republik ausgerufen wurde, die bald mit wesentlichen politischen und wirtschaftlichen Problemen konfrontiert wurde und letztendlich, zusammen mit der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus zu Opfer fiel. Es wurde auch der tschechoslowakische Staat gegründet, der trotz seiner demokratischen parlamentarischen Grundordnung nationale Spannungen in die Wiege gelegt bekam, die letztendlich zum Vorwand für die NS-Aggression und die Zerschlagung der tschechoslowakischen Staatlichkeit wurden. Für die meisten Tschechen bleibt für diese Zerschlagung bis heute die Stadt München als Symbol, in der im September 1938 das Abkommen unterzeichnet wurde, das nicht nur für uns als der Beginn der Regierung des Terrors und der Gewalt galt. Dieser Schritt bedeutete für eine lange Zeit eine Krise der gemeinsamen Identität, die auf die geistige Tradition und kulturelle Nähe baute. 

Einer der letzten Lichtblicke war die Aufführung des ursprünglich zweisprachigen Lustspiels „Tscheche und Deutscher“ von Jan Nepomuk Štěpánek im Ständetheater im Jahre 1936, in dem Deutsche tschechisch und Tschechen deutsch spielten. Ein derart großartiges Unternehmen wiederholte sich in der langen Geschichte der schwierigen tschechisch-deutschen Kulturbeziehungen nie mehr. 

Unsere Identität in diesem Raum wurde weiterhin vorwiegend von der ethnischen Abstammung und der Sprache abgeleitet, die aber zu einer unüberwindbaren Barriere und zum Instrument der Isolation wurden. Konzepte des Vaterlandes, die sich nur auf ein, nämlich das eigene Volk beschränkten, haben dann zuerst im Jahre 1938 den Heimatsverlust für viele Tschechen und anschließend dann im Jahre 1945 nach dem Ende des Kriegstobens auch für fast alle unsere deutschen Landsleute gebracht. Für das Gebiet, auf dem über Jahrhunderte Tschechen, Juden und Deutsche nebeneinander lebten, war dieser ganze Zeitraum mit Abstand die tragischste Periode, die Menschen in mehreren Generationen auf beiden Seiten der Grenze betraf. 

Der Umfang dieser Tragödie wurde mir gestern bei der Ehrung der Opfer des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau voll bewusst, einem der Symbole des nationalsozialistischen Massenmordes. Als wir der Opfer aus den böhmischen Ländern gedachten und unseren Respekt für die Überlebenden ausdrückten, dachten wir an solche Namen wie Josef Čapek, Kardinal Josef Beran oder Bischof Štěpán Trochta, aber auch Max Mannheimer oder Pfarrer von Glöckelberg (Zadní Zvonková) Engelmar Unzeitig, der von den Mithäftlingen als „Engel von Dachau“ bezeichnet wurde, an den Franziskaner aus dem Kloster in Mährisch Trübau (Moravská Třebová) Petrus Karl Mangold, den Prager Augustiner mit deutsch-böhmischen Wurzeln, Augustin Schubert, oder Pater Anton Gebert, der hier wegen seiner Äußerungen des Mitgefühls mit tschechischen Priestern, denen er im Pankratzer Gefängnis seelischen Trost spendete, seinen Tod fand. Zur Ehrung aller Priester aus Böhmen, ungeachtet, ob tschechischer oder deutscher Zunge, die für ihren Glauben und den Widerstand gegen die Totalität litten, legte ich gestern an den Baufundamenten des Dachauer Priesterblocks einen Kranz nieder. Leider kann ich hier nicht die lange Reihe aller tschechischen, jüdischen und deutschen Opfer aus den böhmischen Ländern aufzählen, die nach Dachau verschleppt wurden. Unser Gedenken gilt jedoch jedem von ihnen. Wir werden ihr Heldentum und ihre Bereitschaft nie vergessen, im Kampf gegen den rassistischen und nationalistischen Terror auch ihr eigenes Leben zu riskieren. 

Nach dem Krieg wurden die Grenzgebiete für eine lange Zeit vollkommen entwurzelt, ihre Identität wurde zum Schaden der Tschechen und Deutschen gewaltsam geändert. Das tschechische Grenzland wurde nach dem Krieg vom Staat übernommen und dieser siedelte hier Menschen an, die in der Unsicherheit kamen, dass vielleicht eines Tages jemand anderen auf ihre Stelle kommt. Die Landschaft hat ihr Gedächtnis verloren, die Kultur verschwand, viele architektonische Denkmäler wurden zerstört. Die Städte verloren ihren bunten, multiethnischen und mehrsprachigen Charakter. Industrielle sowie landwirtschaftliche Produktion wurden unwiederbringlich devastiert. Die Menschen auf der tschechischen Seite der Grenze fühlten kein Bedürfnis, die Geschichte anders zu interpretieren, als sie ihnen vorgelegt wurde. Die einst reichen Regionen wurden zur Peripherie, den hier lebenden Menschen wurde von der kommunistischen Propaganda regelmäßig mit westlichen Revanchisten gedroht. 

Nach Bayern sind Millionen unsere ehemaligen deutschen Mitbürger gegangen, die sich um seinen wirtschaftlichen Aufschwung und um den heutigen hohen Lebensstandard verdient machten. Wir wollen auch nicht vergessen, wie viele tschechische Exulanten in den Jahren 1948-1989 in München und seiner Umgebung Zuflucht fanden, und ebenso vergessen wir nicht, dass in der Zeit des Eisernen Vorhangs das Radio Freies Europa von hier ausstrahlte und für viele Menschen in der Tschechoslowakei eine der wenigen Brücken in die freie und demokratische Welt war. 

Das Jahr 1989 brachte den Fall des Eisernen Vorhangs und die damit verbundene Erleichterung. Die totalitäre Regierung wurde übernacht durch die Demokratie abgelöst, die Stereotype änderten sich jedoch langsamer als die Wiederbelebung der Nachbarschaft. Es galt, grenzüberschreitende Beziehungen zu schaffen, und der Nachbarschaft neue Inhalte zu geben, denn die früheren gab es nicht mehr. Die Anbahnung von gegenseitigen Kontakten stieß nicht nur auf die Sprachbarriere, sondern auch auf die gegenseitige Unkenntnis der Mentalitäten und Kultur. Auf der anderen Seite trennte die Grenze endlich Tschechen und Bayern nicht mehr, sondern sie wurde wieder zum Ort der Begegnungen und ermöglichte Aktivitäten, die begannen, diesem Raum seine ursprüngliche Bedeutung zurückzugeben. Die hier lebenden Menschen aus der dritten Generation bringen heute, oft gemeinsam mit den ehemaligen deutschen Landsleuten und ihren Nachkommen, der Region ihre alt-neue Identität zurück. Die Rekonstruierung von Kirchendenkmälern, der Tourismus, die Partnerschaften von Städten, Schulen sowie verschiedensten Vereinen sind ein typisches Beispiel für die vielen Initiativen, aus denen sich informelle Treffen und neue Freundschaften entwickelten. All diesen Menschen auf beiden Seiten der Grenze gehört mein Dank. 

Die Aufgabe von uns Politikern ist es, Voraussetzungen für eine gute Nachbarschaft zu schaffen. Einer der wichtigsten Schritte in dieser Richtung, mit dem wir versuchten, die Vergangenheit zu benennen und sie so von politischen, aber auch menschlichen Emotionen zu befreien, war die Deutsch-tschechische Erklärung von 1997. Diese bereitete den Boden für den Dialog der Bürger und für eine fachliche Diskussion zwischen Tschechen und Deutschen. Ein nicht weniger bedeutsamer Schritt war dann die Erklärung der tschechischen Regierung vom August 2005, die die frühere pauschalisierende Sicht auf unsere ehemaligen deutschen Landsleuten verurteilte und sich für das Unrecht entschuldigte, das tschechoslowakische Organe deutschen NS-Widerstandskämpfern zufügten, die für ihre Haltung während des Kriegs unsere Anerkennung verdient hätten. Es ist dabei zu betonen, dass die deutschböhmischen NS-Gegner sowohl aus den Reihen des linken als auch des konservativen und christlichen Widerstands kamen. 

Die von den Vertretern des demokratischen Deutschlands geäußerten Entschuldigungen an alle Völker für das ihnen vom Nationalsozialismus zugefügte Leid, sowie alles, was von der tschechischen Seite zur Vertreibung und zu unseren früheren Landsleuten gesagt wurde, öffnet die Tür zu einem neuen Zusammenleben und zur sachlichen Diskussion über die Vergangenheit und ihre Interpretation. Wenn wir diese Prüfung erfolgreich bewältigen wollen, sollten wir aufrichtig sein. Wir bedauern, dass durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung. Wir sind uns übrigens des wesentlichen Beitrags der deutschsprachigen Bevölkerung in den böhmischen Ländern zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung dieses Raums während der ganzen Geschichte bewusst. 

Es ist aber zweifelsohne klar, dass wir nicht in die Zeit vor 80 Jahren zurückkehren können. Wir müssen eingestehen, dass wir nur sehr wenig von den Fehlern der Geschichte wiedergutmachen können. Die Suche nach einer gemeinsamen Geschichtsinterpretation gewährt moralische Genugtuung, die Eigentumsverhältnisse der Vorkriegszeit können jedoch nicht wieder hergestellt werden. 

Als ich nach Bayern fuhr, dachte ich über positive Inspirationen für den tschechisch-bayerischen Dialog nach. Vor allem möchte ich bekräftigen, dass Bayern und alle seine Bewohner in der Tschechischen Republik willkommene Partner sind. Ich bin froh, dass ich nach der Verhandlung mit dem Herrn Ministerpräsidenten Horst Seehofer mitteilen kann, dass es uns gelang, den tschechisch-bayerischen Dialog weiterzubringen und ihm eine tiefere Dimension zu geben, die unsere gemeinsame tausendjährige Geschichte widerspiegelt. 

Wir halten es für wichtig, neben der regelmäßigen Verhandlungen auf unserer Ebene einen intensiven parlamentarischen Dialog einzuleiten und aufrechtzuerhalten, der von der Einrichtung einer gemeinsamen tschechisch-bayerischen Parlamentariergruppe begleitet werden könnte. Wir wollen ebenfalls ein breiteres Bewusstsein der gemeinsamen geistigen Tradition und der kulturellen Zusammengehörigkeit in der Öffentlichkeit fördern. Eine gemeinsame tschechisch-bayerische Landesausstellung auf den beiden Seiten der Grenze könnte diesem Zweck dienen und das Interesse erwecken, in der Geschichte Themen zu finden, die uns verbinden und nicht trennen. Lasst Sie uns über das Zusammenleben und die gegenseitige Inspiration in unserer Region nachdenken. Untrennbarer Bestandteil dieses Prozesses sollte die Unterstützung von Themen der Regionalgeschichte sowohl in der Arbeit der tschechisch-deutschen Historikerkommission als auch in den Facheinrichtungen sein. Ich sehe ein großes Potential in der neu entstandenen Stiftung Egerer Wald, im Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und im Deutsch-Tschechischen Gesprächsforum, das sich sowohl den Themen der gemeinsamen Erinnerungsorte als auch den aktuellen Themen unserer Beziehungen widmet. Ich würde in diesen Institutionen auch ein Akzent begrüßen, der auf die bayerisch-tschechischen Beziehungen ausgerichtet wäre. Wir werden auch weiterhin das Collegium Bohemicum unterstützen, das sich mit Projekten beschäftigt, die das deutsch-tschechische und bayerisch-tschechische Zusammenleben thematisieren. 

Wenn wir die Zusammengehörigkeit in der Region konsequent und effektiv unterstützen wollen, dürfen wir solche gewöhnliche Sachen wie die Verkehrsinfrastruktur, die wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Sprachunterricht oder die duale Ausbildung nicht vergessen. Wir einigten uns über eine Empfehlung für unsere Minister zum weiteren Vorgehen. In diesem Zusammenhang begrüßten wir sehr die Aktivitäten der Regensburger Industrie- und Handelskammer in Pilsen (Plzeň) oder die Einrichtung einer Bayerisch-Tschechischen Fachakademie für Fremdsprachenberufe in Weiden und sind überzeugt, dass ähnliche Einrichtungen folgen werden. Ähnlich positiv bewerten wir den gegenseitigen Handel. Ich muss keine Zahlen anführen, es reicht, die Tatsache zu erwähnen, dass Bayern für die Tschechische Republik der drittgrößte Handelspartner ist, bedeutender, als zum Beispiel die USA oder Frankreich. 

Wir wollen eine neue Ära der Zusammenarbeit unserer auf moderne Technologien ausgerichteten Spitzeneinrichtungen in Wissenschaft und Forschung einleiten, wir wollen auch die Zusammenarbeit im Energiebereich fortsetzen. Nur gemeinsam können wir die Energiesicherheit beider Länder stärken. Unterschiedliche Positionen Deutschlands und der Tschechischen Republik zur Kernenergie sollten für die tschechisch-bayerischen Beziehungen keine Belastung werden. Die real drohenden Black-Outs zeigen, dass das Problem der Energiewirtschaft komplex ist und weder Deutschland noch Bayern meidet und dass dies auch für die Übertragungsnetze und deren Stabilität gilt. Die Kernenergie hat unter anderem auch in diesem Kontext eine positive Bedeutung. Außerdem wird deutlich, dass die Tschechische Republik selbst an maximaler Sicherheit der Kernenergie absolut interessiert ist. Eine große Bedeutung messen wir der Vernetzung der Energieinfrastruktur bei, und dies vor allem in den Bereichen Öl und Gas. 

Meine Damen und Herren, 

die tschechisch-bayerische Geschichte ist nichts anderes als ein Spiegel einer vielseitigen menschlichen Gemeinschaft, die sie schuf. Aus diesem Gesichtspunkt sollten wir jene Zeit verstehen und auf dieser Grundlage das gegenseitige Vertrauen und die Freundschaft stärken. Dies kann jedoch nicht mit politische Proklamationen angeordnet werden, sondern es muss aus authentischen Erfahrungen eines jeden von uns erwachsen, aus Erfahrungen, die primär im bayerisch-tschechischen Alltagsdialog entstehen, einem Dialog, der in Europa verankert ist. Wir haben für diesen Dialog in den vergangenen Tagen neue und außerordentlich günstige Bedingungen geschaffen. Die Verantwortung für diesen Dialog liegt jedoch bei jedem von uns. Lasst uns unterschiedliche Ansichten, neue Themen oder Hindernisse nicht fürchten, die auf uns auf diesem Weg warten. Lasst uns auf diesem Weg gemeinsam ausharren, wegen unserer Vorfahren und im Interesse unserer Nachkommen. 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. 

(Quelle: http://www.bayern.landtag.de/images/content/Rede_Necas.pdf)

 
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