Ausstellungseröffnung, 17. Mai 2014, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
Milena Jesenská: Eine Retrospektive
Prag – Wien – Dresden - Ravensbrück
Grußwort Dr. Tomáš Jelínek, DTZF
Sehr geehrte Frau Eschebach,
sehr geehrter Herr stellvertretender Ministerpräsident Markov,
sehr geehrter Herr Botschafter Jindrák,
liebe Frau Wagnerová,
Meine Damen und Herren,
erst durch Franz Kafka ging Milena Jesenská in die Weltliteratur ein, ohne es zu wollen und ohne die Chance zu haben, es zu erleben. Vielen mag es scheinen, als hätte es eine Milena Jesenská ohne Kafka gar nicht gegeben, als sei durch seine „Briefe an Milena“, diese Milena gleichsam erst ins Leben getreten.
Zumindest in der literarischen Rezeption – so können wir festhalten – stand Milena Jesenská immer im Schatten Franz Kafkas. Denn es gab ja nur seine Briefe, ihre nicht mehr. Und so wurde sie zur stillen Adressatin. Zu einer Projektionsfläche, die von der Literaturwissenschaft unter der Frage analysiert wurde „Wer war Kafka?“.
Milena Jesenská - eine Episode im Leben Kafkas? Man darf heute, auch angesichts dieser hervorragenden Ausstellung, die wir heute hier eröffnen, gerade die umgekehrte Frage stellen.
Angesichts der schnellen Entwicklung der politischen und geopolitischen Ereignisse im Europa der 30er Jahre, angesichts der Tatsache, wie furchtlos und engagiert Milena Jesenská gegen die heraufziehende Katastrophe anschrieb, wird deutlich, welche Facetten Jesenská in ihrer Persönlichkeit vereinigte. Geistesgegenwärtig und schonungslos blickte sie dahin, wo die Mehrheit der Gesellschaft die Augen verschloss. In Ferdinand Peroutkas Zeitschrift Přítomnost lenkte sie die Aufmerksamkeit auf das Leid tausender demokratisch gesinnter Sudetendeutscher und ihrer Familien, die nach dem Münchner Abkommen heimatlos geworden waren. Wer in der Tschechoslowakei hatte angesichts der eigenen nationalen Katastrophe ein Auge für die Situation dieser deutschsprachigen Landsleute? Und den Mut, sich für sie einzusetzen?
Aber Milena Jesenská beließ es nicht beim Schreiben, wie wir wissen. Mit aktivem Widerstand, auch als Fluchthelferin, riskierte sie ihr Leben und verlor es am Ende. Mit ihrem Blick auf das menschliche Schicksal ganz unabhängig von nationaler Zugehörigkeit, wurde sie schon damals zu einem Vorbild für alle, die sich heute für die Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen einsetzen.
Damit wird die Verbundenheit des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds zur Person Milena Jesenskás deutlich: Eine dauerhafte Erinnerung an das Schicksal der Opfer des Nationalsozialismus zu wahren und Begegnung und Verständnis zwischen Deutschen und Tschechen zu fördern sind unsere wichtigsten Aufgaben. Für den Zukunftsfonds ist es keine Frage gewesen, ob er die Ausstellung unterstützen kann.
Und ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Insa Eschebach und ihrem Team bedanken, für die Idee zu dieser Ausstellung und ihre Umsetzung.
Diese Ausstellung wird dazu beitragen, uns, der Nachwelt, das kurze Leben dieser außergewöhnlichen Frau vor unser geistiges Auge zu führen und es in all seiner Schönheit, mit all seinem Talent, seiner Widersprüchlichkeit und seinem Leid zu zeigen. Dass wir uns dieses Leben vor Augen führen an dem Ort, an dem es jäh endete, das ist einem Jahrestag, dem 70. Todestag Milena Jesenskás geschuldet. Aber es setzt zugleich ein Zeichen, dass auch nach ihrem Tod das Wirken Milena Jesenskás nicht vergessen ist.
Mit dieser Wanderausstellung tritt Milena Jesenská einen weiteren Schritt aus dem Schatten Kafkas heraus und wird auch für die Nachwelt das, was sie war: eine begabte Journalistin und eine Gerechte unter den Völkern, die sich problemlos zwischen der tschechischen, deutschen und jüdischen Welt bewegte, ja eines ihrer starken Bindeglieder war, die sich weder journalistisch noch menschlich einschüchtern ließ von der brutalen Übermacht der deutschen Besatzung und das tat, was jemand tun muss, der die Menschen liebt: Leben retten, auch wenn es das eigene kostet.